Gleich vorweg: In diesem Artikel gibt’s keine Antworten. Bloß ein paar Hinweise auf einen möglichen Umgang mit “dem allen”. Wir leben in wirklich spannenden Zeiten: Das aktuelle Barometer schwankt zwischen Endzeit- und Aufbruchsstimmung. Auf Brüche können wir uns einigen, aber sind es Um-, Auf-, Zusammen- oder Niederbrüche? Und wenn ja, wovon?
Was uns in der Mutmacherei beschäftigt: Wir wollen ja die Lösungen, das Positive aufzeigen und die Saaten des Wandels, die überall aufgehen. Doch was tun wir mit den drohenden Einschränkungen unserer Freiheiten, mit den Unmenschlichkeiten und Ungerechtigkeiten? Totschweigen, ignorieren? Dagegen auftreten? Und wenn ja, wie? Das sind Fragen, die sich derzeit wohl viele von uns stellen oder stellen sollten: Wie kann ich Verantwortung übernehmen, Flagge zeigen und etwas bewirken, ohne gleichzeitig dem, das ich für falsch halte, eine Bühne zu bieten?
Denn die Welle der Empörung, die berechtigterweise jedes Mal hochschlägt, wenn es neue Entgleisungen politischer oder menschlicher Art gibt, hat ihre Kehrseite: Wenn wir wiederholen, was gesagt wurde, geben wir dem unerwünschten Inhalt Raum. Wir aktivieren Neuronenverbindungen in unserem Gehirn, die sich dann mit dem unerwünschten Inhalt beschäftigen. Das, was wir nicht wollen, wird dadurch plötzlich denkmöglich. Und wir posten es in unserer Empörung in unseren sozialen Kanälen. Denken es dabei nochmals. Stellen es anderen zur Verfügung, die es dann auch denken und weiterverbreiten. Wir regen uns gemeinsam Tage und Wochen lang darüber auf und verstehen einander gut in unserer geteilten Empörung.
Komplizen und rosa Elefanten
Wir machen dadurch aber das, was wir verhindern wollen, zur Normalität: Wir verbreiten es, wir geben ihm einen gewaltigen Platz in unserer Aufmerksamkeit und in unserem Leben. Und wir trainieren unser Gehirn darauf, sich damit zu beschäftigen. “Neurons that fire together wire together” ist der wichtigste Satz über die Formbarkeit unseres Gehirns und beschreibt, wie Verbindungen im Gehirn geschaffen und gestärkt werden – nämlich durch Wiederholung.
Der zweite Hauptpfeiler für die Handhabung unseres Gehirns: Es kennt keine Verneinungen. “Denke nicht an einen rosa Elefanten” ist das bekannteste Beispiel dafür. Was passiert in deinem Kopf? Du denkst automatisch an einen rosa Elefanten und versuchst dann, es aus deinen Gedanken wieder wegzumachen. Das funktioniert aber nicht. Wegmachen geht nur, wenn etwas anderes den Platz des rosa Elefanten einnimmt. Wenn du stattdessen etwa an eine grüne Zitrone denkst.
Das nimmt uns ganz schön in die Verantwortung. Denn wenn wir uns ausschließlich auf unsere Empörung konzentrieren, laden wir in unserem Gehirn immer wieder genau das Programm hoch, das wir nicht wollen – den rosa Elefanten – und stärken es so. Was wir meist verabsäumen ist die Alternative zu laden – die grüne Zitrone. Dazu müssten wir aber erst mal die Entscheidung treffen, welches Programm wir hochladen möchten und wie das genauer aussieht. Wir müssten es vielleicht sogar erst schreiben.
Populistenpause
SOS Mitmensch hat ein spannendes Experiment gestartet: die Populistenpause. Die Einladung lautet: Während des gesamten März sollen wir “enthaltsam” darin sein, unsere Empörung über populistische Aussagen etc. zu teilen. Die Idee dahinter ist, dem Populismus keine Bühne zu bieten. Nicht beim Verbreiten dessen, was wir nicht wollen, zu helfen. Das ist herausfordernd – denn was tun wir mit der Empörung, wo stecken wir sie hin? Und es ist ein Experiment, weil der Ausgang ungewiss ist. Und weil die Frage offen bleibt, wie wir entschieden Position beziehen und uns gegen schädliche Entwicklungen stellen können, wenn wir sie nicht ansprechen?
Neue Frames setzen
Eine Möglichkeit könnte sein: Kurz sachlich das zu erwähnen, was in die falsche Richtung geht und die eigenen positiven Vorstellungen, wie es sein sollte, auszuführen. Der Linguist und Kognitionswissenschafter George Lakoff ist in den USA gerade wieder stark gefragt: Er gibt in den Medien Tipps, wie man die oben angesprochenen Fallen vermeiden kann. Sein wichtigster Hinweis: nicht die Sprache der “Gegner” verwenden, denn damit verstärkt man ihre Botschaft – den “frame“, den Rahmen, den sie setzen. Stattdessen einen eigenen Rahmen aufspannen, die eigenen Werte kommunizieren. Mehr dazu in diesem Video:
Es gibt noch eine weitere Falle: Wir lassen uns durch die Populismusmasche ablenken von dem, was wir selbst wollen. Vor lauter Wehren kommen wir kaum mehr dazu, unsere eigenen Dinge auf die Beine zu stellen.
Gekonnt Flagge zeigen
Bernice King, die Tochter von Martin Luther King, hat viel Aufsehen erregt, als sie folgende Tipps zum Umgang mit dem neuen Präsidenten der USA und der aktuellen Situation gegeben hat. Hier sind ihre Tipps wie man Flagge zeigen kann, von denen man einiges auch auf andere Länder übertragen kann:
- Verwende nicht seinen Namen (sie nennt ihn einfach Nr. 45).
- Denk dran: Es ist ein ganzes Regime, er handelt nicht allein.
- Lass dich nicht auf Diskussionen mit seinen Unterstützer*innen ein, das bringt nichts.
- Konzentriere dich auf seine politischen Entscheidungen, nicht auf seinen Geisteszustand oder seine orange Farbe.
- Halte deine Messages immer positiv. Das Regime möchte, dass die Menschen wütend und ängstlich sind, denn das ist der Boden, auf dem ihre düstere Politik wachsen kann.
- Schluss mit einer Sprache, die Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ausdrückt.
- Unterstützte Künstler*innen und die Künste.
- Sei achtsam, dass du nicht selbst falsche Nachrichten verbreitest. Überprüfe alles genau.
- Achte gut auf dich selbst.
- Leiste Widerstand!
Weiters empfiehlt Bernice King, Demonstrationen immer friedlich zu halten. Denn Gewalt unterstützt das Spiel des Systems. Es wird versuchen, dich zu irritieren und zum Kämpfen, zur Gewalt zu bewegen. Denn dann wissen sie, wie sie mit dir umgehen sollen. Was sie nicht wissen: wie sie mit Gewaltfreiheit und Humor umgehen können. Sie empfiehlt auch: Wenn du über Entscheidungen oder Aussagen des Präsidenten schreibst oder sprichst, dann schreibe diese Handlungen nicht ihm zu, sondern seiner politischen Partei. Die muss dann entweder die Verantwortung dafür übernehmen oder sich abgrenzen. Und Nr. 45 bekommt nicht die Aufmerksamkeit, nach der er giert.
Weiterführendes
In diesem Artikel finden sich gute Tipps, wie die Medien mit Nr. 45 umgehen sollen. Viel davon ist jedoch auch für andere Situationen und generell für den Umgang mit Populisten geeignet. Und schließlich nehmen wir alle auch ein bisschen die Rolle von Medien ein, wenn wir unsere sozialen Kanäle nutzen, um Informationen zu teilen. Darüber nachzudenken, ob wir uns über alles empören müssen, oder ob wir uns da nicht manchmal mit Kleinigkeiten verzetteln, ist etwa eine hilfreiche Frage.
Wir empfehlen dir die Populistenpause ganz ausdrücklich und sind neugierig auf deine Gedanken, Ideen und Kommentare zur großen Frage: wie umgehen mit “dem allen”?
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Sehr gut, sehr wichtig, sehr wahr! Danke!!! Und es wäre ein wichtiger Grundgedanke für alle Berichterstatter, würde die Welt sehr verändern!
Danke, liebe Antje!
In gewisser Weise sind wir ja heutzutags alle Berichterstatter*innen – auf unseren Social Media-Kanälen. Wir können also auch selbst etwas dazu beitragen 🙂
Mit herzlichen Grüßen
Ira