Kannst du dich noch an diesen Song aus dem Musical “Hair” erinnern? “Good morning starshine, the Earth says hello …” Diese Textzeile und die Melodie kamen mir gerade in den Sinn, als ich über unsere aktuelle Situation nachdachte.
Da sind auf der einen Seite Belange, die bis vor kurzem noch nicht der Rede Wert waren: Händewaschen oder den richtigen Abstand zu den Mitmenschen einzuhalten. Doch plötzlich sind sie für unser (Über-)Leben bedeutsam geworden. Wir nähen Atemschutzmasken, hamstern Klopapier und versuchen uns im Homeoffice zu organisieren. Wie der giftige Atem eines Drachen kam Corona über uns, über die Welt gefegt. Eine falsche Bewegung und der Drache kann Feuer auf dich speien und dich vernichten.
Doch man kann den Drachen auch zähmen und ihn steigen lassen, an die Leine nehmen und ihn erzählen lassen. Erzählen, was er da unten sieht, während er mal mit dem Wind rauft, mal sich im Tanz mit ihm wiegt. Die andere Sicht auf die Dinge, die andere Perspektive – ich brauche sie derzeit mehr denn je als Ausgleich zu dieser neuen Form von ganz außergewöhnlicher Normalität, zu dieser ganz am Boden haftenden, existenziellen Verfasstheit.
Der Ausblick des Drachen kann uns ein wenig Abstand vermitteln, ein größeres Bild der Zusammenhänge zeigen. Doch was er nicht kann und was auch ein Flugzeug nicht kann ist uns die Sicht auf unseren gesamten Planeten zu zeigen. Diese Sicht haben auch die Astronaut*innen auf der ISS nicht zur Gänze. Doch sie sehen die Krümmung der Erde, die hauchdünne und verletzliche Atmosphäre und sie sehen vor allem diese atemberaubende Schönheit. Die Erde als ein einziges Lebewesen, das atmet und sich ständig lebendig verändert. Das über Organe, Zellen und Nerven verfügt, die alle mit einander verbunden sind und auf fast unsichtbare Weise zusammenarbeiten. Erst von viel weiter weg – nur sichtbar für die Menschen der Mondmissionen oder für Satelliten außerhalb des Erdorbits zeigt sich unser Planet in seiner Ganzheit, eingebettet in tiefstes Schwarz, in ein weites, leeres All. Eine farbenprächtige Oase des Lebens mitten im Nichts.
Für mich ist dieser Blick auf die Erde eine Quelle der Freude, der Hoffnung und der Zuversicht. Ein Ausblick auf das, was uns eigentlich ausmacht. Wir sind eine Menschheit auf einem Planeten mit einer gemeinsamen Zukunft, sagt der ehemalige ISS-Astronaut Ron Garan. Er weist in seinem Buch “The Orbital Perspective” auch auf die Wichtigkeit hin, unser Leben aus der “Sicht des Wurms”, die stark am Boden haftet, eng verschlungen in einen lokalen Kontext, in Einklang zu bringen mit dieser orbitalen Perspektive auf die Erde als Ganzes. Denn beide sind real, beide haben ihre Berechtigung.
Ich pflege diesen Blick ins All und von dort wieder zurück auf die Erde auf vielfache Weise, wie ich schon gelegentlich durchblicken lassen habe. Zunächst als Fan der Iridium-Flares, die nun leider Geschichte sind. Nun auch als Schulvortragende zum Thema “Faszination Weltraum” – ein Projekt des Österreichischen Weltraumforums ÖWF in Kooperation mit der Europäischen Weltraumagentur ESA und ESERO, das derzeit Corona-bedingt auf Eis liegt. Ich habe soeben eine Weiterbildung “Our Fragile Planet” erfolgreich abgeschlossen, die speziell für Lehrende der naturwissenschaftlichen Fächer gedacht ist. Sie sollen ermutigt werden, den Kids und Jugendlichen weltraum- und astronomiebezogene Themen näher zu bringen und den Zusammenhang zur Erde herzustellen. Das Copernicus MOOC hingegen wird mich noch einige Wochen beschäftigen. Dabei geht es um das EU-Programm der Erdbeobachtungssatelliten und wie diese helfen können, bessere Entscheidungsgrundlagen für Umweltfragen und Ressourcenschonung zu liefern.
Brandaktuell und wunderbar berührend ist für mich OneHome – ein Gemeinschaftsprojekt von Künstler*innen, Designer*innen und Expert*innen. Sie versuchen, den Overview-Effekt möglichst vielen Menschen nahe zu bringen. Sie lassen die Erde zu uns sprechen, während wir sie aus einer ganz besonderen Position betrachten: Der Satellit DSCOVR befindet sich an einem Punkt, an dem sich die Gravitationskräfte von Sonne und Erde aufheben. Dieser Satellit hat die Sonne stets im Rücken und die immer beleuchtete Erde vor sich. So sendet er uns wunderschöne aktuelle Porträtfotos von unserem Planeten, die zu Videos zusammengefügt werden. In den sozialen Netzwerken werden nun laufend neue Videos mit Blick auf die Erde gebracht. Gibt es eine schönere Art und Weise, uns unsere gemeinsame Heimat liebevoll in Erinnerung zu rufen? Schau dir in diesem ersten Video an, was uns die Erde – außer “Hello” – noch zu sagen hat: