Bürger*innen-Rat von unten

Partizipative und inklusive(re) Politik jetzt auch von unten?

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In Vorarlberg tut sich derzeit etwas demokratie-/politik-technisch Interessantes. Erstmals in Österreich wurde ein landesweiter Bürger*innen-Rat „von unten“ initiiert. Zur Frage:

„Wie sieht ein zukunftsfähiger Umgang mit Grund und Boden in Vorarlberg aus?“


wollten sechs Initiator*innen, dass die Landesregierung einen Bürger*innen-Rat abhält. Die dafür notwendigen 1.000 Unterschriften wurden am 6. Juni abgegeben. Nun ist die Landesregierung am Zug und beauftragt das „Büro für Zukunftsfragen“ mit der Organisation und der Abhaltung des Bürger*innen-Rats. Dieser wird am 22. und 23. September stattfinden. Möglich ist das durch ein seit einigen Jahren in der Vorarlberger Landesverfassung verankertes, in Österreich nach wie vor einzigartiges Verfassungsrecht.

Was kann so ein BürgerInnen-Rat?

Die landesweiten Bürger*innen-Räte gelten in Vorarlberg als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie und wurden bisher immer von der Landesregierung einberufen. Fünfzehn bis dreißig Menschen werden zufällig aus dem Melderegister eingeladen und erarbeiten eineinhalb Tage lang Handlungsoptionen für gesellschaftliche Herausforderungen. Fragen zu Asylpolitik oder Bildung etwa sind dabei schon thematisiert worden. Die Ergebnisse sind für die Regierung nicht bindend, was dieser auch immer wieder Kritik einbringt. Die Thesen und Vorschläge aus dem Bürger*innen-Rat werden dann auch noch in einem für alle offenen Bürger*innen-Café diskutiert und gegebenenfalls erweitert. Das Bürger*innen-Café zum Grund und Boden findet übrigens öffentlich zugänglich am 3. Oktober um 19 Uhr im Rankweiler Vinomna-Saal statt.

Was macht einen Bürger*innen-Rat interessant?

Unabhängig von den Themen, die bei einem Bürger*innen-Rat behandelt werden, steht ergänzend quasi jedes Mal eine gleiche Forderung in den Ergebnissen: Die Teilnehmer*innen wünschen sich mehr und breitere Beteiligung in politischen Prozessen. Warum? Das Format des Bürger*innen-Rats ist ein besonderes. Erstens kommen durch die Zufallsauswahl unterschiedlichste Menschen aus allen Bereichen und Schichten der Gesellschaft zusammen. Der Bürger*innen-Rat ist sicher das aktuell repräsentativste Format, das Österreich kennt. Vor allem schließt die Zufallsauswahl Nicht-Staatsbürger*innen nicht aus. Es ist nur ein Wohnsitz in Vorarlberg notwendig, um eingeladen zu werden. So kommen im Dialog die unterschiedlichsten Sichtweisen für Probleme oder Anliegen auf den Tisch, die man vom gewohnten Stammtisch her eher noch nicht kennt. So können Einsichten entstehen, die enormes Potenzial haben sowohl für Konfliktlösung als auch für das Entstehen von innovativen Ideen.

Für das Entstehen von Ideen braucht es nicht immer Expert*innen. Später für die Umsetzung sehr wohl natürlich, aber der unkonventionelle Zugang von „Expert*innen des Alltags“ kann überraschend fruchtbar sein. Versierte Moderator*innen unterstützen das Format u.a. mit der Methode „Dynamic Facilitation“,  die den Dialog gut und übersichtlich strukturiert. Und vor allem wird auch auf eine respektvolle Gesprächskultur geachtet. Gut zuhören und einander ausreden lassen wird im Bürger*innen-Rat zur Selbstverständlichkeit. Das sehen wir zu selten in politischen Debatten am Stammtisch, im TV, im Parlament oder sonst wo. Die Bürger*innen-Räte sind also ein hierzulande angewandtes Format, das zumindest einige Schritte in Richtung gemeinsames politisches Gestalten geht und uns damit zeigt, was möglich ist …

Grund und Boden …

Die Initiative zum Bürger*innen-Rat wurde natürlich auch wegen einer wichtigen Frage gestartet. Österreich und Vorarlberg sind ganz vorn dabei, pro Kopf zu viel Grünland zu versiegeln. Wie wir in Zukunft mit Grund und Boden umgehen, betrifft alle Menschen – unabhängig davon, ob sie viel, wenig oder keinen Grund besitzen. Darum sollte es auch geeignete Formate (und keine Pseudo-Partizipation!) für solche Fragen geben.

Markus Wallner, der Vorarlberger Landeshauptmann, hat – befragt für ein Radiointerview – gemeint, man solle sich vom Bürger*innen-Rat nicht zu viel erwarten. Die Bürger*innen werden in diesen eineinhalb Tagen nicht die Lösungen für alle Probleme finden. Das mag sein, aber der Bürger*innen-Rat wird, wie andere Initiativen auch, einen großen Beitrag leisten, dass mehr Bewegung in dieses wichtige Thema kommt. Und es spräche nichts dagegen, bzw. es läge in der Hand des Landeshauptmanns, ein für die Größe der Thematik noch umfassenderes Format zur Verfügung zu stellen. Eine Planungszelle, wie es sie in Vorarlberg schon einmal gegeben hat, zum Beispiel. Auf alle Fälle ist es Zeit, politische Prozesse zu öffnen. Im Interesse der Allgemeinheit.

Stefan Schartlmüller ist Teil der 6-köpfigen Initiativgruppe, die in zwei Wochen mehr als 1.200 Unterschriften gesammelt hat, um bei der Vorarlberger Landesregierung den ersten von der Bevölkerung vorgeschlagenen Bürger-Rat zu initiieren. Weitere Infos und Kontakt: www.bodenfreiheit.at

Hintergrundinfo:

Seit 2006 wurden in Vorarlberg 35 Bürgerräte in Gemeinden, Regionen und auf Landesebene durchgeführt. Im Frühjahr 2013 folgte ein weiterer Schritt in Richtung mehr Verbindlichkeit der Bürgerräte: Die partizipative Demokratie wurde in die Landesverfassung aufgenommen und eine Richtlinie zur Abwicklung der Bürgerräte von der Landesregierung beschlossen. Zwischenbilanz: Bürgerräte: Wo stehen wir? Was können wir lernen? Wie machen wir weiter?

Titelbild: Übergabe der Unterschriften an den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (Foto: Lisa Praeg)

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