Jasmina Seidler hat dieses „neue Märchen“ geschrieben und sich dabei durch eine wahre Begebenheit inspirieren lassen. Jasmina bezieht sich in ihrer Geschichte auch auf das PERMA-Modell der Positiven Psychologie.
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„Hast du es schon gesehen?”
„Ja.”
„Schrecklich, nicht?”
„Ja.”
„Ich hab da vielleicht eine Idee, wie …”
„Bemüh dich nicht, ich hab schon Hackfleisch besorgt.”
Am anderen Ende der Leitung war es kurz still.
„Ah, okay.”
Wieder eine kurze Pause.
„Also, wir sehen uns in 15 Minuten?”
„Kannst du Paprikapulver mitnehmen?”
„Klar doch , wie viel denn?”
„So zehn Kilo.”
Die beiden Köche, Christoph Steiner und Gerhard Ludwig, waren nicht die einzigen, die „es” schon gesehen hatten – die Bilder der Überschwemmung vom Ahrtal bis Köln. Im Fernsehen wurden sie den ganzen Morgen schon ausgestrahlt, und immer wieder wurde von den Schäden und den Opfern der Katastrophe gesprochen.
Und hier standen die zwei Freunde, mit dem Handy in der Hand, und sprachen über Paprikapulver – pardon, zehn Kilo Paprikapulver – und eine unbekannte Menge Hackfleisch. Welchen Zusammenhang hatte dieses Telefonat mit der Überschwemmung? Nun, die Menschen brauchen doch jetzt etwas Warmes zu essen. Und zwar Spaghetti Bolognese.
Aus diesem Grund waren Christoph und Gerhard noch einmal zum Supermarkt gefahren, um ihren Lebensmittelvorrat für die gigantische Menge Bolognese etwas aufzustocken („Deine 160 Packungen Hackfleisch reichen doch niemals!”). Als sie ihre ersten drei voll beladenen Einkaufswägen wieder nach draußen geschoben haben, war der Verkäufer noch sehr belustigt.
Beim sechsten Wagen verging ihm das Grinsen langsam.
Dann kam die neunte Ladung; Verkäufer und andere Kunden vergaßen, wie man den Mund wieder schließt.
Nachdem der erste Bus beladen war, hatten die Menschen im Supermarkt langsam ihren Schock überwunden.
Und um den zweiten Bus voll zu bekommen, haben dann alle mit angepackt.
Man könnte noch ausführlich erzählen, wie viel Leidenschaft die zwei Männer in der Küche aufgebracht hatten („Zimt!” „Okay, bei der Prise Curry bin ich ja noch voll dabei gewesen, aber jetzt solltest du deiner kreativen Ader nicht mehr vertrauen.” „Du bist zu engstirnig!” „Wir wollen Menschen helfen und nicht ihre Geschmacksnerven verätzen!”), doch aus diesen drei Stunden Kochzeit ging eine weitaus wichtigere Geschichte hervor: als man obdachlos Gewordenen einen Teller Hoffnung schenkte.
800 Mahlzeiten waren gekocht, im Krisengebiet verteilt und dankbar und hungrig angenommen worden. Denn eines war den beiden Köchen klar: Sie konnten keine Hausmauern betonieren, keine Bäume wegheben oder Wunden verarzten. Aber jeder hat seine Fähigkeiten – und wenn man diese richtig einsetzt, kann man damit mehr als nur Hilfe bringen. Und was sie konnten, war kochen!
Am Ende des Tages gab es nicht nur satte Menschen. Sie hatten Hoffnung geschaffen, Trost, Wärme und Freude. Und außerdem etwas noch sehr Wichtiges: Anregung.
Ihrem Beispiel sind viele, viele andere gefolgt. Da wären zum Beispiel die Ministranten, die sich zusammengerafft haben:
„Wir sollten auch etwas tun!”
„Mir ist gerade nicht so nach Singen, weißt du …”
„Ich glaube, uns will gerade auch niemand singen hören.”
„Allein der metertiefe Schlamm ist schon schrecklich, wie bekommt man das alles weg? Und wer soll das schaffen?”
„Wisst ihr was?”
„Was?”
„Schnappt euch jede Scheibtruhe, die ihr finden könnt, WIR schaffen das!”
Da gab es noch eine nette Dame, die in ihrem Mercedes herumkurvte, um Kaffee und Würstchen zu verteilen:
„Werner, ich mach eine Spazierfahrt!”
„Mhm…Moment, WAS? Schatz, die Hälfte der Straßen hier sind überschwemmt.”
„Ganz genau!”
Weinbauern räumten mit ihren Traktoren Schutt und Baumstämme von Häusern:
„Haben Sie was zum Ernten für uns?”
„Sie meinen doch nicht Obst?”
„Ich meine Bäume.”
„Sonst hätte ich meinen Traktor hier heute im Schuppen gelassen.”
Supermärkte verschenkten Lebensmittel:
„Der gesamte Einkauf macht dann… null Euro null, bitte.”
„Moment, ich suche noch mein Portemonnaie.”
„Ähm, ich sagte –”
„Tut mir leid, mein Rucksack ist so unübersichtlich.”
„Sie müssen gar nicht –”
„Ich hab in meiner Panik einfach alles hinein gestopft, was ich retten wollte!”
„Es ist wirklich nicht –”
„Ach, da ist sie ja. Wie viel haben Sie gesagt?”
„Nichts.”
„Nichts?”
„Gratis. Ein Geschenk. Schönen Tag noch!”
Und Hotelbetreiber nahmen Menschen auf, die ihr Zuhause verloren haben:
„Darf ich mich bei ihnen etwas unterstellen? Mein Dach gibt es ja nicht mehr …”
„Wollen Sie nicht gleich reinkommen?”
„Ja, bitte!”
„Kann ich Ihnen ein Zimmer anbieten?”
„Zimmer?”
„Mit oder ohne Balkon?”
„Balkon?”
„In Ordnung, mit Balkon also!”
Man sieht: All diese Menschen haben geholfen. Genauso wie du und ich haben sie ihre Talente – und wenn es nur ist, eine gute Idee zu haben und Kaffee zu machen. Diese Talente haben sie eingesetzt. Damit ist viel zu erreichen, besonders, wenn jeder sich irgendwie engagiert.
Wir können nur zusammen stark sein; ein Tropfen braucht auch seine Geschwister, um ein Ozean zu werden.
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Jasminas Geschichte zeigt eindrücklich, wie wichtig ist, die eigenen Stärken und Talente zu kennen und sie im gemeinsamen Engagement mit anderen einzusetzen.
mut•macht Puzzleteilchen 8.3.1
- 8. Mutstrahl
- 3. Achterbahn
- 1. Funke